Förskolan: Erinnerungen an den schwedischen Kindergarten

Der Pärm ist mit Erinnerungen an vier Jahre Kindergarten in Schweden gefüllt.

Last Updated on 18. November 2023 by Inka

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen: die Eingewöhnungstage für die Kita bzw. den Kindergarten. Wie neugierig der kleine Mann damals durch die Räume gestapft ist. Mittlerweile sind viereinhalb Jahre vergangen und der Schritt zum nächsten Lebensabschnitt steht bevor: der Wechsel in die Vorschule. Zeit für einen kleinen Rückblick.

Am letzten Tag war der Kindergarten mit Luftballons geschmückt; es gab Eis und alle Kinder der Stjärnan-Gruppe haben ihren großen Pärm überreicht bekommen. Die Kinder der Stjärnan-Gruppe sind nämlich Jahrgang 2016 und werden nach den Sommerferien in die Vorschule wechseln. In Schweden ist es nämlich nicht irgendein ein Stichtag in der Jahresmitte, der über die Einschulung entscheidet, sondern das Geburtsjahr.

Für jedes Kind haben die Kindergärtnerinnen einen solchen Pärm angelegt. Der Pärm ist ein großer Ordner, der mit Erinnerungen an besondere Momente der Kindergartenzeit gefüllt ist: mit Fotos vom Ausflug auf den Spielplatz, von Bastelleien zu Weihnachten, kurzen Zitaten. Einmal sitzt unser Kleiner beim Ausflug ins Grüne auf den Knien seiner Kindergärtnerin. Ein anderes Mal wurde er beim Basteln fotografiert, die nächste Seite zeigt ihn beim Plätzchen backen. Auf einem Foto hört er sich mit den anderen Kindern Geschichten mit Polyglutt an, auf anderen ist der Bamseloppet verewigt. Vor allem aber dokumentiert er stichpunktartig, wie der pädagogische Lehrplan umgesetzt wurde.

Der Kindergarten als Teil des schwedischen Schulwesens

Schweden hat schon dem Kindergarten ein eigenes Kapitel im Skollag (2010:800) gewidmet: Kapitel 8 Förskola. Zuvor solltet Ihr noch wissen, dass im Schwedischen nicht zwischen Kindertagesstätte und Kindergarten unterschieden wird. Alles, was vor der Vorschule kommt, wird unter Förskola zusammengefasst. Das Skollag legt fest, welche Rechte und Pflichten Kinder, Schüler und Erziehungsberechtigte haben und welche Anforderungen deshalb an die Einrichtungen gestellt werden. So haben Kinder ab dem dritten Lebensjahr das Recht auf 525 Stunden Betreuungszeit im Jahr. Sind die Eltern zuhause, weil sie zum Beispiel arbeitslos sind oder ein Geschwisterkind betreuen, darf das Kind nur drei Stunden täglich in den Kindergarten gehen.

In Schweden sind nämlich in erster Linie die Eltern für die Betreuung ihrer Kinder zuständig; der Staat unterstützt dabei nur, damit die Eltern studieren oder arbeiten können.

Skolväsendet omfattar skolformerna
– förskola,
– förskoleklass,
– grundskola,
– grundsärskola,
– specialskola,
– sameskola,
– gymnasieskola,
– gymnasiesärskola och
– kommunal vuxenutbildning.Skollag (2010:800)

Das schwedische Schulwesen umfasst die Schulformen: förskola, förskoleklass, grundskola, grundsärskola, specialskola, sameskola, gymnasieskola, gymnasiesärskola und kommunal vuxenutbildning.

Betreuung für umgerechnet rund 150 Euro pro Monat

Der Kindergarten-Platz ist auch in Schweden nicht umsonst. Die geltende Gebühren-Obergrenze wird jährlich vom Skolverket veröffentlicht und ist in jeder der 290 schwedischen Kommunen identisch. Trotzdem zahlen nicht alle Eltern monatlich den gleichen Beitrag, denn zur Berechnung der Gebühren wird das Einkommen herangezogen. Je mehr Geld einem Haushalt zur Verfügung steht, desto teurer ist der Kindergarten: für das erste (bzw. jüngste) Kind fallen drei Prozent des steuerpflichtigen Haushaltseinkommens an, für das zweite (bzw. mittlere) Kind zwei Prozent, für das dritte (bzw. älteste) Kind ein Prozent. Allerdings ist das Einkommen gedeckelt. Übrigens: Ab dem vierten Kind gibt es Mengenrabatt; sie sind im Preis mit drin.

Kindergarten-Gebühren in Schweden
Vom 1. Januar 2019Vom 1. Januar 2021Vom 1. Januar 2022
Einkommensobergrenze47.490 Kronen
50.340 Kronen52.410 Kronen
Kind 13% des Haushalts-
einkommens bis max.
1.425 Kronen1.510 Kronen1.572 Kronen
Kind 22% des Haushalts-
einkommens bis max.
950 Kronen1.007 Kronen1.048 Kronen
Kind 31% des Haushalts-
einkommens bis max.
475 Kronen 503 Kronen 524 Kronen
Quelle: Skolverket unter www.skolverket.se

Frühstück, Fruktstund, Mittag und Mellanmål inclusive

Im Preis enthalten: sämtliche Mahlzeiten. Unser Kindergarten serviert um 8 Uhr das Frühstück, gegen 10 Uhr eine Frukstund, um 11:30 Uhr das Mittagessen und gegen 14:30 Uhr noch ein Mellanmål. Heute werden in Schweden täglich rund 1,5 Millionen kostenloser Schulessen ausgegeben. Dies ist das Ergebnis eines fast 150-jährigen Prozesses: während die kostenlosen Mahlzeiten anfangs nur den armen Kindern vorbehalten waren, wurden über die Jahrzehnte Kinder unabhängig vom Haushaltseinkommen, ihrem Wohnort und ihrer Schulstufe einbezogen. Seit 2011 ist im schwedischen Skollag sogar ergänzt, dass die Mahlzeiten nährstoffreich sein müssen und etwa ein Drittel des täglichen Energie- und Nährstoffbedarfs decken sollen. Bei der praktischen Umsetzung können sich die Schulküchen an den Richtlinien und Empfehlungen des schwedischen Livsmedelsverkets orientieren. In unserem Kindergarten haben 44 Prozent der verwendeten Zutaten sogar Bio-Qualität.

Während der Einschulung damals war ich zum Mitessen eingeladen und konnte mir selbst ein Bild davon machen. Lecker wars – frisch, warm, abwechslungsreich und ausgewogen. Auf individuelle Speisebedürfnisse wird Rücksicht genommen und sei es nur, indem auf Schweinefleisch einfach verzichtet wird und die Bolognese-Sauce öfters heimlich auf Soja basiert. Erleichtert war ich, dass zum Mittagessen vor allem Knäckebrot gereicht wird, und nicht das in Schweden beliebte süße Brot. Mir gefällt, dass manchmal auch genascht wird. Zum Beispiel gibt es Eis, wenn ein Kind Geburtstag hat, oder Pannkaka oft freitags als Einstieg ins Wochenende.

Der schwedische Kindergarten als Vermittler von Wissen und Werten

Was die Kinder aus ihrer Zeit im Kindergarten mitnehmen sollen, gibt das Skollag ebenfalls vor und wird durch den Lehrplan des Skolverkets konkretisiert. So sollen die Kinder im täglichen Rhythmus aus Ruhe, Spielen und altersgerechtem Unterricht zum Weiterentwickeln animiert werden und eine lebenslange Lust am Lernen entwickeln. Die Aktivitäten sollen hierbei so zusammengestellt sein, dass sie den Kindern möglichst viel Abwechslung bieten und ihre Fähigkeiten und Interessen erweitern, ohne durch Geschlechterstereotypen eingeschränkt zu werden. Er sensibilisiert sie früh für die Ziele der UN-Kinderrechtskonvention, nach der sie Rechte haben, sich beteiligen und beeinflussen dürfen.

Ein hoher Stellenwert hat deshalb auch die Sprache: Der Kindergarten soll die Sprachentwicklung der Kinder nicht nur im Schwedischen fördern, sondern auch in den schwedischen Minderheitensprachen, den Mutter- und Gebärdensprachen. Zudem ist der Kindergarten ein sozialer und kultureller Treffpunkt, der das Verständnis der Kinder für den Wert von Vielfalt fördern soll. Kein Kind darf aufgrund seines Geschlechts, seiner Geschlechtsidentität oder -ausdrucks, seiner ethnischen Zugehörigkeit, Religion oder einer anderen Überzeugung, einer Behinderung, der sexuellen Orientierung oder des Alters diskriminiert oder einer anderen missbräuchlichen Behandlung ausgesetzt werden. All das dient dazu, dass das Kind Interesse und Verantwortungsbewusstsein zur aktiven Teilhabe an der Gesellschaft und für eine nachhaltige Entwicklung in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht entwickelt.

Das Kind als wertvoller Teil der schwedischen Gesellschaft

In Schweden haben Kinder einen ganz besonderen Stellenwert. Während in Deutschland gerade Restaurants und Schwimmbäder von sich reden machen, weil sie ihnen den Eintritt verwehren, gehören sie in Schweden ganz selbstverständlich mit dazu. Ja, sogar aufs Sweden-Rock-Festival dürfen sie mit. Trotzdem müssen auch schwedische Eltern Kind und Job unter einen Hut bekommen. Und weil in Schweden üblicherweise beide Elternteile arbeiten gehen, kommen die Kinder ebenso üblicherweise mit einem Jahr in den Kindergarten. Vom ersten Tag an war ich fasziniert, wie ruhig und geordnet es in den Räumlichkeiten abläuft. Schon die Kleinsten bekommen beigebracht, Rücksicht aufeinander zu nehmen. Ausgelassenes, fröhliches Spielen: ja, bitte! Rumschreien: nein, danke. Auch meiner musste sich irgendwann sagen lassen, dass abends alle Kopfschmerzen haben, wenn jeder den ganzen Tag über so laut ist.

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass schwedische Eltern ihre Kinder dazu anspornen, es den Anderen „mal so richtig zu zeigen“. Eine Aussage, die ich zumindest von deutschen Eltern immer wieder höre. Da diese Ermutigung ja behinhaltet, dass sie anderen Kindern ihre Überlegenheit demonstrieren sollen, widerspricht sie eigentlich dem Kern des schwedischen Wesens. In Schweden kommt es eher komisch rüber, wenn sich jemand hervortut. Zurückhaltung und Bescheidenheit sind typische Charakterzüge, die einem im Alltag immer wieder begegnen. Diese Werte werden schon vom Kindergarten vermittelt. Er bringt schon den Kleinsten bei, dass man sich gegenseitig ausredet lässt und alle gehört werden. Später haben die Kinder der Stjärnan-Gruppe gemeinsam eine Lösung erarbeitet, wie sich das Gruppen-iPad gerecht zwischen allen aufteilen lässt.

Schweden hat zehn Wochen Sommerferien

Eine besondere Zeit war stets der Sommer. Während sich die schwedischen Schulkinder jährlich im Juni in fast zehn Wochen Sommerferien verabschieden, gelten in den Kindergärten oft andere Zeiten. Bis zur Corona-Pandemie machte unser Kindergarten üblicherweise für zwei Wochen zu und wechselte sich dabei jährlich mit dem Kindergarten des Nachbarortes ab. Dort wäre unser Kleiner dann willkommen gewesen. Doch ihn als Anderthalbjährigen ohne Eingewöhnungszeit mit fremden Betreuern und anderen Kindern unterzubringen, fanden wir keine schöne Vorstellung. Und so machten wir es den Schweden gleich und auch Urlaub.

In den Corona-Jahren 2020, 2021 und 2022 blieb unser Kindergarten über den Sommer über geöffnet. Man wollte den Austausch der Kinder und Kindergärtnerinnen zwischen den zwei Dörfern so gering wie möglich halten. Uns Eltern kam das sehr entgegen, doch für Sohnemann war das teilweise eine doofe Zeit. Viel los war im Kindergarten trotzdem nicht. Von Juni an, wenn die Schulkinder Sommerferien haben, blieben dann auch die jüngeren Geschwisterkinder nach und nach dem Kindergarten fern. Dann sind teilweise auch seine Freunde nicht mehr da. Irgendwann war der Kindergarten so verwaist, dass die übrigen Kinder zu einer Gruppe zusammen gelegt wurden. Mit den Allerkleinsten fehlten aber die gemeinsamen Interessen.

Im Sommer hat sich bei mir deshalb immer ein bisschen Wehmut breit gemacht. Jeder Abschied war ein bisschen für immer, denn einige Kinder haben wir nach den Ferien nicht mehr gesehen. Die ältesten Kinder verabschieden sich dann in die Vorschule, die Jüngeren werden in neuen Gruppen zusammengelegt. Söhnchen fand das nie allzu schlimm, aber ich fand es schade. Erste Freundschaften und zarte Bande wurden zerissen. Auch die Kindergärtnerinnen haben mir gefehlt. Jede war ein ganz eigener Typ und hatte eine völlig andere Art, mit den Kindern umzugehen. Wenigstens wurde den neuen Gruppen immer mindestens eine Kindergärtnerin zugeordnet, die die Kinder schon kannten. Das hat den Wiedereinstieg doch sehr erleichtert.

Regelmäßiges Feedback an die Eltern im Utvecklingssamtal

Welche Fortschritte die Kinder im Kindergarten machen, bekamen die Eltern regelmäßig in einem Utvecklingssamtal (dt.: Entwicklungsgespräch) mitgeteilt. Üblicherweise fand es jährlich statt; in den Corona-Jahren 2020 & 2021 haben die Kindergärtnerinnen allerdings nur dazu eingeladen, wenn Redebedarf bestand. Für uns also eigentlich ein Grund zur Freude, dass unser Gespräch ausfallen musste; allerdings haben wir die Gelegenheit zum Austausch auch vermisst. Wir erfahren gerne, was unser Kleiner macht und wie er sich entwickelt. Anfangs haben wir uns viel darüber unterhalten, ob er sich gut eingelebt hat, wie es mit dem Töpfchen und dem Mittagsschlaf klappt und welche Fortschritte er beim selbstständigen Essen und Trinken macht. Später war oft die Sprache ein Thema; immerhin musste er den doppelten Wortschatz aufbauen wie die anderen. Und immer wieder ging es um seine Interessen: was ihm Freude macht, wie er sich integriert und seine Rolle in der Gruppe. Dass er immer eine Idee hat, mit der er andere begeistert, haben wir erfahren. Und dass ihm andere Kinder gerne folgen. Im letzten Utvecklingssamtal ging es vor allem um den Wechsel in die Förskoleklassen. Aus Sicht seiner Kindergärtnerinnen ist er absolut reif dafür.

Bald geht es in die schwedische Förskoleklassen

Unser Fünfjähriger wird mit dem Wechsel in die Förskoleklassen schulpflichtig sein. 2017 hat Schweden die Schulpflicht von der ersten Klasse auf die Förskoleklassen ausgeweitet; bis dahin war sie freiwillig. „Alle Kinder sollen einen guten Schulstart haben. Die Vorschulklasse bietet einen gleichberechtigten Start in die Entdeckung von Sprache, Mathematik und anderen Fähigkeiten. Die Begegnung von Vorschul- und Grundschulpädagogik bietet die Möglichkeit, alle Kinder dort abzuholen, wo sie stehen, und stärkt die Rolle und Verantwortung der Vorschulklasse in einem zusammenhängenden Schulsystem“, sagte Bildungsminister Gustav Fridolin damals.

Wenn wir unseren Fünfjährigen fragen, was er von der Förskoleklassen hält, kriegen wir unterschiedliche Antworten. Mal freut er sich drauf, mal weniger. Er mag es nicht, wenn er nicht weiß, was auf ihn zukommt. Dabei tappt er kaum im Dunkeln, immerhin hat er mit seiner Stjärnan-Gruppe schon zwei Ausflüge in die Förskoleklassen gemacht und sich dort alles angesehen. Das neue Angebot an Spielsachen gefällt ihm jedenfalls schon mal gut. Außerdem wird er künftig seine Mahlzeiten im Speisesaal einnehmen, so wie die großen Kids, und nicht mehr in den Räumlichkeiten des Kindergartens. Davon abgesehen ändert sich der Tagesablauf kaum. Die Kinder werden in Schweden sehr behutsam an die Schule herangeführt – seine Lerneinheiten werden von doppelt so langen Pausen unterbrochen sein. Und: eine Kindergärterin aus der Förskolan wird mit hinüberwechseln. „Es ist mein letztes Jahr, bevor ich in Pension gehe. Und die Gruppe war sooo toll – da habe ich mich entschlossen, mich beruflich noch mal zu verändern und die Gruppe zu begleiten“, sagt sie. Na, wenn das keine tollen Aussichten sind 🙂


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